Befangenheit beim Übungsflug

Nicht selten kommt es vor, daß Kinder von Fluglehrern ihrerseits eine Fluglizenz haben oder gar selber Fluglehrer sind. Dies kommt insbesondere in Vereinen vor und führt irgendwann unweigerlich zu der Frage, ob sich Familienmitglieder die Lizenz verlängern dürfen, also miteinander Übungsflüge absolvieren dürfen usw.

In den Hinweisen (zur Verlängerung von Lizenzen usw.) des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 16.8.2010 steht der lapidare Satz:

"Darf ein Familienmitglied einem anderen Familienmitglied eine Klassenberechtigung auf der Rückseite der Lizenz verlängern? Nein, dies ist nicht möglich. (Befangenheit)"

Ein davon betroffener Fluglehrer wandte sich an die Zeitschrift Fliegermagazin, wo ihm von einem Rechtsanwalt mehr oder weniger deutlich bescheinigt wurde, daß gegen einen Übungsflug, bei dem der Fluglehrer zugleich der Vater ist, grundsätzlich nichts einzuwenden sei (Fliegermagazin 2010, Heft 4, Seite 75). Nach Auffassung des Rechtsanwalts dürfte es "nur wenige Väter geben, die Fünfe gerade sein und dabei in letzter Konsequenz ihren Sohn sehenden Auges in eine Katastrophe fliegen" ließen. "Die Aussage, daß bei einem Familienmitglied grundsätzlich Befangenheit vorliege" entbehre "jeder gesetzlichen Grundlage". Schließlich gelangt er zu der krönenden Feststellung: "Soweit allerdings der Übungsflug in der Sache ordnungsgemäß absolviert wird, gibt es keinen Grund, im Vater-Sohn-Verhältnis Befangenheit erkennen."

Der so bezeichnete "Kommentar" des Rechtsanwalts im Fliegermagazin ist auch bei wohlwollender Betrachtung im Ergebnis nicht mehr vertretbar und insoweit ebenso ärgerlich wie die gesetzliche Ausgangslage, die der Gesetzgeber mit der Pflicht zum Übungsflug geschaffen hat. Ich habe schon andernorts auf meiner Homepage die Auffassung vertreten, daß der Übungsflug mit Fluglehrer das gesetzgeberische Ziel nicht erreicht, wenn sich der Lizenzinhaber den Fluglehrer (etwa aus dem eigenen Verein) aussuchen darf. Die Ausgangsfrage zeigt ein weiteres Mal, daß der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Übungsflugs mit Fluglehrer und bei anderen Aufgaben, die er auf die Fluglehrer übertragen hat, keine Sorgfalt an den Tag gelegt hat.

Im Ergebnis falsch ist die Auskunft des Rechtsanwalts m.E., weil das Regierungspräsidium seine zutreffende Rechtsauffassung auf § 20 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) stützen kann. Die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder sind im Wortlaut weitestgehend identisch, weshalb hier das VwVfG ohne besondere Spezifikation hinsichtlich des Gesetzgebers zitiert werden kann. § 20 VwVfG lautet (zusammengefasst, vollständiger Wortlaut am Ende des Textes):

(1) In einem Verwaltungsverfahren darf für eine Behörde nicht tätig werden,
...
2. wer Angehöriger eines Beteiligten ist;
...
(5) Angehörige… sind:
...
3. Verwandte und Verschwägerte gerader Linie,

Die Bestimmung des § 20 VwVfG gilt nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG auch für die Tätigkeit der Behörden bei Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen von Personen.

Damit stellt sich die Frage, ob ein Fluglehrer, wenn er einen Übungsflug absolviert oder eine Lizenz verlängert "in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde tätig wird." Literatur und Rechtsprechung sind sich einig, daß § 20 VwVfG in einem weiten Sinne zu verstehen ist. Die Ausschlußgründe des § 20 VwVfG gelten nicht nur für die im Verfahren involvierten Amtsträger, sondern auch für sonstige Personen, deren Mitwirkung in Verfahren unter Umständen Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann, so beispielsweise auch für externe Sachverständige, die auf Veranlassung der Behörde ein Gutachten erstatten, bei dem sie nicht "für die Behörde" tätig werden, sondern wegen ihrer Unabhängigkeit beauftragt werden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Auflage 2010 § 20 VwVfG, Rn. 13; Knack/Henneke, VwVfG, 9. Auflage 2010 § 20 VwVfG, Rn. 13;)

Mit einem solchen externen Sachverständigen ist der Fluglehrer, der zum Übungsflug mit Lizenzinhabern berechtigt ist, vergleichbar. § 20 VwVfG gilt für alle Bereiche des Verwaltungshandelns, sofern es innerhalb eines Verwaltungsverfahrens abläuft (Knack/Henneke aaO Rn. 8). Die Erteilung der Fluglizenz ist ein Verwaltungsakt. Die zum Erhalt der Fluglizenz erforderlichen Handlungen dürften, soweit Dritte (Fluglehrer) dazu herangezogen werden müssen (Übungsflug und Eintrag in die Lizenz), im weiteren Sinne als zu einem Verwaltungsverfahren zugehörig betrachtet werden. Der Fluglehrer ist zwar kein Amtsträger der Lizenzierungsbehörde, kann aber als deren Helfer in tatsächlicher Hinsicht bezeichnet werden.

Darüber hinaus ist in Rechtsprechung und Literatur unbestritten, daß die §§ 20 ff. VwVfG Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens sind (vgl. Kopp/Ramsauer, aaO., Rn. 7a). Sie sind als solche für sonstiges Verwaltungshandeln entsprechend anwendbar.

Gleichgültig, ob man § 20 VwVfG direkt oder entsprechend (analog) anwendet: bei dem betreffenden Personenkreis gilt eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung dafür, daß eine Interessenkollision gegeben ist (Knack/Henneke aaO Rn. 5).

Bitte nicht betreten ... Ärgerlich ist der Kommentar des Rechtsanwalts im Fliegermagazin, weil schon das Judiz oder das persönliche Rechtsgefühl nicht nur eines Rechtsgelehrten "STOP" rufen müßte, wenn es um die Frage geht, ob der Vater mit dem Sohn einen Übungsflug unternehmen darf. Einzuräumen ist allerdings, daß Fluglehrer nicht selten ein - manchmal sogar tief - freundschaftliches Verhältnis zu denen haben, mit denen sie zum Übungsflug in den Flieger steigen. Einzuräumen ist auch, daß in solchen Fällen zweifelhaft sein dürfte, ob die Fluglehrer wirklich unbefangen sein können. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß sich jedem einigermaßen objektiven Betrachter bei der Vorstellung, daß ein Vater den lizenzerhaltenden Übungsflug mit seinem Sohn absolviert (oder umgekehrt), die Nackenhaare aufstellen müssen. Hier gilt eben die unwiderlegliche Vermutung, daß eine objektive Bewertung nicht erfolgen kann (und mag sie im Einzelfalls auch noch so objektiv gewesen sein - was ich, da ich die Beteiligten recht gut kenne, sogar unterstellen möchte).

Dem steht auch die Tatsache nicht entgegen, daß ein Vater seinem Kind das Fliegen beibringen darf. Denn der Übungsflug dient - trotz seiner mißglückten Bezeichnung - nicht der Ausbildung, sondern der Feststellung, ob der Betroffene hinreichend in der Lage ist, sich als Pilot im Luftraum zu bewegen.


Vollständiger Wortlaut des § 20 VwVfG:
§ 20 Ausgeschlossene Personen. (1) In einem Verwaltungsverfahren darf für eine Behörde nicht tätig werden,

  1. wer selbst Beteiligter ist;
  2. wer Angehöriger eines Beteiligten ist;
  3. wer einen Beteiligten kraft Gesetzes oder Vollmacht allgemein oder in diesem Verwaltungsverfahren vertritt;
  4. wer Angehöriger einer Person ist, die einen Beteiligten in diesem Verfahren vertritt;
  5. wer bei einem Beteiligten gegen Entgelt beschäftigt ist oder bei ihm als Mitglied des Vorstandes, des Aufsichtsrates oder eines gleichartigen Organs tätig ist; dies gilt nicht für den, dessen Anstellungskörperschaft Beteiligte ist;
  6. wer außerhalb seiner amtlichen Eigenschaften in der Angelegenheit ein Gutachten abgegeben hat oder sonst tätig geworden ist.
Dem Beteiligten steht gleich, wer durch die Tätigkeit oder durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Dies gilt nicht, wenn der Vor- oder Nachteil nur darauf beruht, daß jemand einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden.

(2) Absatz 1 gilt nicht für Wahlen zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit und für die Abberufung von ehrenamtlich Tätigen.

(3) Wer nach Absatz 1 ausgeschlossen ist, darf bei Gefahr im Verzug unaufschiebbare Maßnahmen treffen.

(4) Hält sich ein Mitglied eines Ausschusses (§ 88) für ausgeschlossen oder bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 gegeben sind, ist dies dem Vorsitzenden des Ausschusses mitzuteilen. Der Ausschuß entscheidet über den Ausschluß. Der Betroffene darf an dieser Entscheidung nicht mitwirken. Das ausgeschlossene Mitglied darf bei der weiteren Beratung und Beschlußfassung nicht zugegen sein.

(5) Angehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 und 4 sind:

  1. der Verlobte,
  2. der Ehegatte,
  3. Verwandte und Verschwägerte gerader Linie,
  4. Geschwister,
  5. Kinder der Geschwister,
  6. Ehegatten der Geschwister und Geschwister der Ehegatten,
  7. Geschwister der Eltern,
  8. Personen, die durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Eltern und Kind miteinander verbunden sind (Pflegeeltern und Pflegekinder).
Angehörige sind die in Satz 1 aufgeführten Personen auch dann, wenn

  1. in den Fällen der Nummern 2, 3 und 6 die die Beziehung begründende Ehe nicht mehr besteht;
  2. in den Fällen der Nummern 3 bis 7 die Verwandschaft oder Schwägerschaft durch Annahme als Kind erloschen ist;
  3. im Falle der Nummer 8 die häusliche Gemeinschaft nicht mehr besteht, sofern die Personen weiterhin wie Eltern und Kind miteinander verbunden sind.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ende des Textes (befangenheit.html - 10.10.10)